„Hier wird nach Herzenslust geforscht“
Henstedt-Ulzburg. Alois will einfach nicht hören, er ist der wahre Chef im Haus“, sagt Klaus John Eisenmenger, 59. Alois ist ein fünf Jahre alter Berner Sennenhund mit kräftigem Knochenbau, einer Schulterhöhe von knapp 70 Zentimetern und behaarten Schlappohren. Er will partout nicht mit aufs Gruppenfoto. Schon seit zehn Minuten warten die Mitarbeiter der Titan Präcis Metallurgie GmbH in Henstedt-Ulzburg auf ihn. Endlich hat Eisenmenger den Hund eingefangen. Auf dem Vorplatz, bis in die letzte Ecke mit blauen Splittern aus leeren Mineralwasserflaschen übersät, nimmt Alois vor einem aus zwei Stahlplatten zugeschnittenen Pferd Platz und rührt sich nicht mehr vom Fleck.
Blaue Glassplitter auf dem Vorplatz statt bunter Blumenbeete, Fliesen oder Kieswege, das sagt schon einiges aus über Klaus John Eisenmenger. Er hasst Unkraut und Gartenarbeit, sagt er. Mit seinem Auftreten und dem eigenwilligen Haarschopf ähnelt er ein wenig Professor Luigi Colani, 83, dem weltbekannten Industrie-Designer. Auch Eisenmenger ist Erfinder, Forscher, Entwickler und Gestalter in einer Person.
In gemieteten Räumen fing alles an
Der eine (Colani) studierte in Berlin Bildhauerei und Malerei und wurde durch seine aerodynamischen Formen u. a. für Autos und Flugzeuge berühmt. Der andere (Eisenmenger) beschäftigte sich an der Universität in Aachen in Fächern wie Chemie und Physik mit weniger bekannten Begriffen wie Oberflächenspannung, Plasmaverfahren und Verbrennungsdruck. Visionäre sind sie immer noch.
Eisenmenger, Diplom-Ingenieur der Metallurgie und Werkstofftechnik, hat einen Beruf gewählt, in dem er nach eigener Aussage nach Herzenslust forschen und entwickeln kann. Er ist Experte in allen Fragen, die metallische Materialien betreffen. Er entwickelt neue Legierungen und Verbundwerkstoffe und steuert Recyclingverfahren.
In einer Hinterhof-Garage in Schenefeld fing alles an: Klaus John Eisenmenger, der als 17-Jähriger bei Wilhelmsburg 09 Fußball spielte und damals als großes Talent gepriesen wurde, versuchte es zunächst mit Flamm-, Lichtbogen- und Drahtbeschichtung. Er entwickelte neue Technologie-Angebote für die chemische Industrie, für den Schiffbau sowie im Werkzeugbau.
„Der Grundgedanke unserer Arbeit bis heute ist“, sagt Eisenmenger, „geeignete Werkstoffe auf Maschinenbauteile aufzubringen, die bessere Eigenschaften besitzen als das Vorprodukt.“
Drei Jahre später, nach dem Umzug ins Ulzburger Gewerbegebiet, wurde Titan Präcis Ansprechpartner für die Automobilbranche. Das Unternehmen ist seit 1996 auch Zulieferer für die Beschichtung von Ventilstößeln der Ferrari-Autos im Formel-1-Rennsport. Es war das Jahr, als der spätere Rekord-Weltmeister Michael Schumacher erstmals im roten Renner saß.
„Unser Aufgabengebiet umfasst das Engineering und die Entwicklung neuer Anwendungen“, sagt Eisenmenger. „Die von uns beschichteten Maschinenteile finden sich nicht nur in der Formel 1, sondern auch im Anlagenbau, in der Flugzeugindustrie, der Chemie und im Schiffsbau wieder.“
Klaus John Eisenmenger steht in der Produktionshalle und bespricht mit seinem Mitarbeiter Stefan Dahm, 39, aus Henstedt-Ulzburg, der für die Steuerung eines Roboters verantwortlich ist, letzte Einzelheiten für die geplante Oberflächenbeschichtung der Lagerstellen von Windgeneratoren. Stefan Dahm drückt auf den Startknopf, dann spuckt der Roboter Feuer.
„In einigen Bereichen haben sich unsere Produkte an der Spitze etabliert“, sagt Eisenmenger. Seine Beschichtungswerkstoffe werden bei Verschleiß, als Hitzeschutz und für bessere Laufeigenschaften für diverse Strahltriebwerke unter anderem für Airbus und Boeing verwendet.
Praktisch von Beginn an arbeitet er eng mit den Hauni-Werken zusammen. In jeder Maschine des weltweit führenden Herstellers von Tabakaufbereitungs- und Zigarettenproduktionsanlagen werden Teile mit einer von Titan Präcis entwickelten Beschichtung eingesetzt. „Mit dem Geld, was ich bei Hauni in meinen beruflichen Anfangsjahren verdient habe, konnte ich Kapital für den Neubau in Henstedt-Ulzburg ansparen“, sagt Eisenmenger.
Ist Titan Präcis fit für die Zukunft? „Auf jeden Fall“, versichert der Chef und zählt auf: „Die Beseitigung der Probleme an Windkraft-Flügelsegmenten ist eine wichtige Aufgabe, ebenso die Verbesserung der Enteisung von Flugzeugen im Winter. Ich habe auch Ideen, wie man Flugzeuge recyceln kann.“
Ein Geheimnis macht Eisenmenger noch um eine Erfindung, die in den kommenden Jahren den weltbesten Golfprofis zugute kommen soll. Die neue, besonders haltbare Schlägerbeschichtung, die den Golfball noch sicherer ins Ziel befördern soll, wird zurzeit von zwei international bekannten Spielern getestet. Solche Zukunftspläne zeigen es: Eisenmenger ist immer auch ein Erfinder gewesen. „Denken macht Spaß“, sagt der Vater des zwölfjährigen John-Hendrik. „Ich habe das gesamte Bürogebäude entworfen, die Möbel und Tische auch.“
Ein Kunstsammler ist er ebenfalls. Davon zeugen Ritterrüstung im Konferenzraum und Gemälde an den Wänden. Der Clou ist eine automatische Zigarettenanzünder-Maschine, die immer noch einwandfrei funktioniert. Eine weitere hat er vor 25 Jahren dem weltberühmten Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein geschenkt.
Zum Abschied setzt sich Klaus John Eisenmenger auf ein Motorrad der Marke Harley, Baujahr 1923. Es steht vor dem Hauptausgang, immer im Blickfeld von Chefsekretärin Meike Rincken. „Einmal habe ich sogar einen Designer-Preis für Lampen bekommen“, sagt Eisenmenger. „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, wenn man so einer ist wie ich.“
Quelle: Hamburger Abendblatt vom 12. März 2012